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Obwohl ich jetzt schon über 10 Jahre in München lebe und mein ganzes Leben schon in Bayern, war ich noch nie in der KZ Gedenkstätte in Dachau. Allerdings konnte ich mir nicht vorstellen, als ich den Artikel im Spiegelreporter las, dass diese Gedenkstätte einen Menschen nicht berühren könnte. Im Geschichtsunterricht hatten wir das Thema Nationalsozialismus drei Mal mit unterschiedlicher Intensität aufgerollt und bei dieser Gelegenheit hatte ich auch Fotos aus dem KZ in Dachau gesehen, Fotos von der Zeit vor 1945 und aktuelle aus der heutigen Zeit von der Gedenkstätte.

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1. Erinnerung

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Um meine Erinnerung aufzufrischen und einen fotografischen Beweis zu bringen, dass einem der Ort an sich ohne das Wissen um seine Vergangenheit schon Schauer über den Rücken jagt, bin ich einfach hingefahren, um es mir ein erstes Mal anzusehen.

2. Regen

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Es regnet schon seit Tagen. Der Parkplatzwächter verlangt triefend 3,- DM. Um die Pfützen auf dem breiten geteerten Fußweg zu der Lücke im Zaun mit Stacheldrahtverbau muss ich Umwege gehen. Trotz des schlechten Wetters an diesem kalten, nassen Oktober Samstag kommen mir doch einige amerikanische Touristen entgegen. Der Pförtner am Eingang des Museums fragt mich, ob ich Deutscher wäre, denn der Filmbeitrag für Deutsche würde erst in einer Stunde anlaufen.

3. Hinter den Zahlen stehen Menschen

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Ich will mich eigentlich nur etwas im Warmen über das informieren, was man hier zu sehen bekommt, um es später im Bild festzuhalten. Die Schaubilder und großen Tafeln mit vergrößerten Original Auszügen aus Befehlen, Erlässen und Plakaten lassen den Kloß in meinem Hals wachsen. Beklemmung kommt unweigerlich auf. Hinter den Zahlen der Tabellen stehen Menschenleben.

4. Deutsch

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Am ursprünglichen Eingang zum KZ mache ich die ersten Fotos von dem schmiedeeisernen Eingangstor: "Arbeit macht frei". Ein Japaner neben mir filmt die gleiche Einstellung und spricht Notizen auf das Band - auf japanisch. Auf dem Weg zum Krematorium mache ich weitere Bilder und kämpfe dabei mit meinem Regenschirm. Es fällt mir schwer, den mir entgegenkommenden Amerikanern ins Gesicht zu schauen. Ob sie mir wohl ansehen, dass ich ein Deutscher bin? Was geht wohl in ihnen vor?

5. Brausebad

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Der Garten um das Krematorium hat Friedhofscharakter. Es riecht sogar wie auf einem Friedhof. Ich stehe im sogenannten Brausebad mit den luftdichten Türen. Was wohl der Fußboden des nachfolgenden kleinen Zwischenraums schon alles gesehen hat.


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6. Krematorium

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Dann stehe ich in dem großen Raum mit den 4 Öfen. Wieder läuft ein Amerikaner mit einer Videokamera vor sich in Aktion vorbei. Schnell mache ich meine Fotos und verlasse den Raum.

7. Tränen des Himmels

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Auf dem Weg zu den Baracken mache ich noch ein paar Bilder von den Pfützen voll mit Tränen des Himmels.

8. Baracken

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Auszüge aus Texten von überlebenden Geistlichen und Schriftstellern auf großen Tafeln in den Baracken sollen einen Eindruck vom Lagerleben vermitteln.


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9. ...ist mein Kopf leer

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Vorstellbar und Begreifbar wird es dennoch nicht. Auf dem Rückweg über den großen Antreteplatz durch die Lücke im Zaun um die Pfützen voll Tränen zu meinem warmen Auto...


... ist mein Kopf leer.

10. Interview mit Christian Worch

Auszug aus dem Interview mit Christian Worch und Spiegelredakteuren Uwe Buse, Christoph Mestmacher und Rainer Schmidt, das im Magazin Spiegelreporter vom Oktober 2000 ab Seite 50 veröffentlicht wurde:


Spiegel: Haben Sie jemals Ausschwitz besucht? Oder Bergen Belsen?

Worch: Nein, das einzige Konzentrationslager, das ich besucht habe, war dieses von München, Dachau, im Jahre 1978.

Spiegel: Welchen Eindruck hinterließ das?

Worch: Das hat bei mir eigentlich keinen nennenswerten Eindruck hinterlassen.

Spiegel: Sie haben nichts empfunden?

Worch: Nein.

Spiegel: Keine Beklemmung?

Worch: Nein, keine Beklemmung?

Spiegel: Stolz?

Worch: Auch keinen Stolz. Wenn ich das richtig erinnere, standen die Baracken größtenteils nicht mehr. Von einer Art Gedenkstätte liegen vereinzelt Blumen. Es wirkte auf mich öde, menschenleer.

Spiegel: Diese Orte entfalten für die meisten Besucher ihren Schrecken, weil sie wissen, was dort passiert ist. Kamen Ihnen keine Bilder in den Kopf?

Worch: Nein.

Spiegel: Welche Funktion hatten Konzentrationslager bei Hitler?

Worch: Das nähert sich wieder dem Bereich, wo der Gesetzgeber Riegel vorgeschoben hat. Aber auch als ich noch der Überzeugung war, dass sechs Millionen Menschen auf Grund eines Umstandes, für den keiner von ihnen etwas konnte, systematisch vernichtet worden sind, hat mich das nicht gehindert zu sagen, der Nationalsozialismus hat damals für Deutschland beachtliche Leistungen erbracht.